Gesehen und gelesen – Juli 1997

(diesmal direkt aus New York)

Ganz genau hat sie niemand zählen können. Waren es tatsächlich 1 Million Teilnehmer oder nur 600.000, welche Straßen und Plätze New Yorks beim Jubiläumsmarsch »25 Jahre Stonewall« füllten? In jedem Fall war es die gewaltigste Demonstration stolzer Gay & Lesbian people, die diese Stadt je erlebte.

Der Anlass: am 27. Juni 1969 kam es zum ersten Mal dazu, daß sich empörte Gays, Lesbians und TV’s bei einer Durchsuchung der Polizei in ihrem Treffpunkt, der »Stonewall«-Gaststätte, sehr handgreiflich wehrten. Dieser »Aufstand« brachte in den USA eine Bewegung in Gang, die gleiche Bürgerrechte für alle forderte, unabhängig von ihrem sexuellem Verhalten.

An diesem Sonntag war dies Vergangenheit. Gegenwart waren Zehntausende, die am UNO-Gebäude vorbei auf breiten Avenuen entlangzogen bis zum Central Park. Verblüffend die internationale Dimension dieses fünfstündigen Marsches. Wie bei einer Olympiade folgte Nation auf Nation mit ihrer Flagge und sehr unterschiedlich großen Delegationen: Australien, Brasilien, Chile, Dänemark, Mexiko, etc. Auch Germany mit ca. 6 TV’s war vertreten.

Von vielen Gruppen erscholl immer wieder die Forderung: Gleiche Rechte für alle Bürger! Es war auch eine politische Demonstration gerichtet an die US-Bundesstaaten, aber auch der UNO wurden später Bittschriften bezüglich Ländern, wo Gays auch heute noch verfolgt werden, übergeben. Selbst dem Bürgermeister dieser 7,3 Millionen-Stadt wollte man fast die Teilnahme verbieten: Zu oft hätte er Anti-Gay-Positionen unterstützt. (Er machte dann doch mit!)

Übrigens: Nirgendwo entdeckte ich ein Schild einer TV- oder TS-Gruppe. Dafür marschierten kleinere Gruppen hinter dem Plakat »TRANSGENDER«. Was bedeutet das Wort in unserer Sprache? Vielleicht sollten wir es einfach so übernehmen, jede Übersetzung erschwert das Verständnis nur (gleiches gilt für Crossdresser). Bereits eine Woche vor dem Marsch hatten in der Stadt das Sportfest »Gay Games IV« und eine Kulturwoche begonnen. Für letztere fand ich im Veranstaltungskalender u. a. 14 Theater- und Kabarettaufführungen, 10 Konzerte und Musikprogramme, 3 Tanztheater, 4 Kunstausstellungen, 2 Filmfestivals und 25 Discoparties. Beim Sportfest wurden etwa 10.000 Teilnehmer gezählt, und es gab Wettkämpfe u. a. im Marathonlauf, Fußball, Volleyball, Eiskunstlauf, Frauen-Ringen, Turmspringen usw. Eindrücklich zeigte man damit: Es geht nicht nur um die sexuelle Orientierung dieser Menschen. Sicherlich waren die Veranstaltungen von unterschiedlicher Qualität. So war eine Travestieshow mit »Lady Bunny« recht provinziell. Das Konzert im Madison Square Garden »Here and Now« mit 100 Musikern dagegen ausgezeichnet.

Alle großen Tageszeitungen berichteten, selbst die renommierte New York Times hatte mehrere positive Artikel. Dabei erfuhr man manche Details. So waren in der Menge viele, die sich damals zur Wehr setzten gegen Polizeiübergriffe, auch einige TV’s. Sie zogen die Pumps aus und droschen auf die Beamten los. Davon war jetzt kaum die Rede. Die Akzente haben sich seither verschoben: nun geht es um die rechtliche Gleichstellung und verstärkte Hilfe für die AIDS-Opfer in den USA.

Ein bewegender Moment: Als ein großer Gay-Männer-Chor auf der Central Park Avenue den Marsch zum Halt brachte und mit Hunderten von Zuschauern das bekannte Lied schwarzer Bürgerrechtler anstimmte: »We shall overcome one day.« Wollen wir es hoffen, für die amerikanische und unsere Gesellschaft.

Rita/Bremen


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.