Gesehen und gehört – April 1994

Vielleicht war es für uns und das Fernsehen in Deutschland doch ein historisches Datum: Die Sendung von Hans Meiser am 23. März 1994 im RTL. Denn zum ersten Mal konnten wir nicht nur Transvestiten in Filmen und humoristischen Sendungen bewundern – sie waren diesmal selbst das Thema und darum selbst auch Anwesende im Studio. Zwar hatte vor einigen Monaten schon der bewährte Biolek eine Talk-Show gehabt, in der Travestie-Stars und Sternchen vorkamen, doch damals waren die einfachen TV’s doch nur ein kleiner Teil der schillernden Skala der »Lust zum Verkleiden« gewesen. Mary und andere Profis beherrschten damals die Mattscheibe. Bei RTL lautete das Konzept der Sendung offensichtlich anders, und der taktvolle Hans Meiser bemühte sich ehrlich um das Verständnis der Mitmenschen für diese Gattung von Menschen.

Da saßen sie also nun in recht ansehnlicher Kleidung (Kleidern), die Chantal, Michaela, die rothaarige Sekretärin aus Berlin (Jerome Castel) und der stille Travestie-Star aus dem Startreff in Köln. Aber am Ende der Sendung fragte man sich; was kam nach 60 Minuten beim Zuschauer im Wohnzimmer eigentlich an, welches Bild hatte die Sendung ihm vermittelt? Vielleicht war es zuviel Detailinformation und zuwenig zusammenfassende Interpretation. Zu oft ging es um das Einzelerlebnis und seltener um den Überblick. Leider waren auch einige der »Geladenen« kaum in der Lage, ihre persönlichen Gefühle/Erfahrungen in Worte umzusetzen. Wenn das nicht geschieht, wie soll der Zuschauer aber TV’s beurteilen können? Typisch: Michaela erklärt definitiv, sie kenne keinen einzigen TV, der homosexuell sei. Der Star aus Köln erklärt, alle seine Kollegen(innen) seien es! Folgerung des Moderators: Man müsse also Homo sein, damit man… Ein klärendes Wort hätte folgen müssen, um den großen Unterschied zwischen dem Transvestiten (im Alltag) und dem Travestiekünstler (auf der Bühne) deutlicher zu machen, denn zu Anfang wurde behauptet, das sei im Grund die gleiche Haltung!

Während also in der ersten Runde eher das heitere Bild des selbstbewussten TV gezeichnet wurde, dem es überhaupt nicht schwer fällt in – zeitweise auffallenden – Kleidern auf der Dorfstraße zu gehen und bei dem alle Freunde/ Berufskameraden/Verwandten Verständnis zeigen oder sogar mithelfen, korrigierten die ruhigen Kommentare von Frau Dr. Bramley dieses Bild zum Glück. Zu ihr kämen durchaus ältere TV’s mit gleicher Neigung, aber mit großen Problemen im Familien- und im Arbeitsbereich. Kleine Alltagssorgen, wie etwa die zusätzliche weibliche Unterwäsche im Haushalt schafften bereits Konflikte. Und eine Hauptsorge der Ehefrau/Partnerin sei es häufig: ob diese Neigung sich nicht doch noch zu »der Operation« sich entwickle, ob nicht ein TV früher oder später zum TS werde? Schade, von ihr hätte man gerne noch mehr gehört.

Wie gut, dass praktisch in letzter Minute das Mikro von der resoluten Vorsitzenden der Transidentitas (Frankfurt) erobert wurde und sie klarstellte, dass hier von zwei verschiedenen Wegen die Rede sei: TV und TS. Sie konnte sogar noch einen kleinen Werbespot für die nächste Fachtagung im April loswerden. Leider gab man ihr auch nicht mehr Zeit – Meiser hatte sich offenbar in der ersten Hälfte des Programms etwas verplaudert, so kamen wichtige Informationen nicht beim Zuschauer an.

Trotzdem; es war prima, so eine Sendung zu erleben. Spitze der Aufruf von Claudia, einem echten und nicht so aufgeputztem TV unter den Zuschauern im Studio. Fast gab es schon den Schlusspfiff, als sie die anwesenden und und zuschauenden Transvestiten ermunterte, sich zu ihrer Neigung zu bekennen. Sie hätte es auch getan und sei damit gut gefahren. Schade – hier hätte man weitersprechen müssen! Dem Normalbürger wurden Eindrücke gewährt, sie waren z. T. zu kurzatmig, aber vielleicht doch eine Hilfe, um verständlich zu machen, warum man in dieser schönen Wunder-Welt lebt. So long –

Rita/Bremen


Seite angelegt am 20.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.