Gelesen und gesehen – Mai 1996

Sind sie ein Krimi-Leser? Kennen sie schon etwas von der amerikanischen Autorin Donna Leon? Wissen sie, was ein »prostituto transvestito« ist?

Falls nun nur negative Antworten kommen, dann mag vielleicht beim geneigten Leser Interesse sein für den neuen Roman »Venezianische Scharade« im Diogenes Verlag, 1996 (DM 39,-). Immerhin ist es das erste Buch in deutscher Sprache, bei dem gleich auf der ersten Seite ein roter Damenschuh beschrieben wird! Er gehört offenbar einer ermordeten Person, die im roten Kleid hinter den Büschen in einer Industrie-Zone von Venedig versteckt wurde. Als deutlich wird, daß im Kleid tatsächlich ein männliches Wesen steckt, entsteht der Verdacht, es handle sich um eine der »Damen« vom lokalen TV-Strich. Jedenfalls hat die Autorin einige Detail-Kenntnis von dieser Szene. Sobald man weiß, wer der gute Bürger ist, der noch am Tage zuvor völlig ruhig durch die Straßen ging – nicht im Kleid – gewinnt der Umstand Bedeutung, daß er als gefundener Toter rasierte Beine aufwies! Damit wird dem informierten Leser klar: es sollte nur aussehen, als wäre der Tote ein »prostituto transvestito«… Es ist ein wirklicher Krimi, also spannend, bringt aber über die TV’s in Venedig weniger enthüllende Informationen als man anfänglich erwartete.

Enthüllender soll dagegen der neue Film aus den USA sein, der vom 16. Mai an schon wieder ein altes Bühnen-Erfolgsstück auf den Markt bringt. Remakes – das ist ja die große Masche in der amerikanischen Unterhaltungs-Industrie. Statt dem vertrauten Titel »Ein Käfig voller Narren« geht es diesmal um »The Birdcage«. Nach dem Vorspann zu urteilen macht man sich nicht mehr in dezenter Weise über Homos und Tunten lustig; aber es ist auch kein ernsthafter Versuch auszuloten, was denn in diesen sogenannten Randgruppen an Lebenserfahrung vor sich geht. Ein paar der alten und aufpolierten Gags, ein paar nette Kleider – das war es denn wohl, und derartige Bemühungen auf der Leinwand haben wir ja schon öfter erlebt.

Eindringlicher sollte man sich eher mit einer interessanten Veränderung beschäftigen, die im letzten Jahr zur Auswechselung eines Titels in den USA führte. Es geht um eine in manchen Kreisen wohlbekannte Zeitschrift, die von der »International Foundation for Gender Education« als Tapestry seit mehreren Jahren herausgegeben wurde. Mit etwa 50 Seiten und farbigem Deckblatt, wurden interessante Informationen den Lesern aus der TS- und TV-Szene in aller Welt vermittelt. Ohne lange Diskussion wurde zum 31.12.1995 der Titel in Transgender geändert. Warum wohl? Ist der Name nicht zweitrangig, eine Sache wie »Schall und Rauch«? In dieser Situation vielleicht doch nicht! – Dieser Wechsel ist vermutlich Teil der Diskussion, die in den USA seit einiger Zeit von den Interessierten und »Betroffenen« geführt wird. Begriffe (Titel) sollen ja innerhalb einer Sprache Gedanken/Definitionen möglichst so vermitteln, daß ein möglichst großer Teil der Empfänger versteht, worum es geht. Mit Ausnahme von Geheimcodes soll ein Wort auch Teil einer guten Kommunikation sein. Nun erlebte man immer wieder, daß im breiten Publikum z. B. »Transvestit« die unterschiedlichsten Vorstellungen auslöste. Die Unterscheidung zum TS oder auch zur Travestie als »Kunstform« auf der Bühne und im Film wird oft nicht verstanden. In dieser Woche lese ich in einer der großen Wochenzeitschriften davon, daß Lilo Wanders eine »einzigartige Transvestitin« sei… So begann man in den USA mit anderen Begriffen zu leben. Dabei wurden Wortbildungen mit »trans-« ausgeklammert. Sie erinnerten oft an ihre Herkunft aus dem klinischen Bereich und der Vorstellung, dieses Verhalten würde das sogenannte normale Leben überwerfen, überschreiten. Für die TVs ging man nun mit dem Crossdressing um. In Büchern der letzten zwei Jahre spricht man vom Crossdresser.

Es ist zweifelhaft, ob wir Versuche machen sollten, mit Übersetzungskünsten in der deutschen Sprache ähnlich zu handeln. Zudem gilt ja als neuer Überbegriff für alle diese Verhaltensweisen jetzt »Transgender«, und darum nannte man die Zeitung so.

Das Wortpaar »sex – gender« können wir sowieso nicht in unserer Sprache nachempfinden. Dennoch könnten wir zumindest für den »TV« den »Crossdresser« als selbstgewählten Begriff einsetzen. Oder?

So long – für diesmal

RITA/Bremen


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 05.09.2005.