Gelesen und gesehen – Jamuar 1996

Im Fernsehen kann man zu jedem Jahreswechsel immer einige interessante Auftritte von Künstlern aus der Medienbranche erleben, die sich in unterschiedlichen Szenarien in Frauenkleidern zeigen. In den letzten Jahren hatte sich Peter Alexander einen Namen gemacht – etwa im Auftritt als Dame der britischen Monarchie. Diesmal hatten es ihm Tennisstars angetan, darunter auch eine weibliche Figur. Allerdings war diese nicht sehr überzeugend gelungen. Der Hauptgrund: etwas viel Übergewicht im kurzen Tennisdress. Vielleicht kommt sogar ein bewährter Wiener Alterstar in die Jahre…?

Im Kino gibt es in diesen Wochen aus den USA den »To Wong Foo«-Film, bei dem der Besucher bis zum Schluss nicht so recht versteht, wie es gerade zu diesem Titel kam. Aber die drei Darsteller, unter denen Patrick Swayze sicher als der bekanntere gilt, erleben nach Auftritt und Sieg in einem Drag-Contest in New York eine abenteuerliche Fahrt nach Westen, wo sie Hollywood erobern möchten. Unterwegs bleiben sie in einem kleinem, verschlafenem Nest hängen. Mit einer Ausnahme ahnt keiner der Bewohner, wer sich in den z. T. schrillen Klamotten verbirgt, und so kommt es zu köstlichen Begegnungen. Die drei Damen aus der Großstadt bringen gewaltigen Schwung in die Kleinstadt, und mehrere Beziehungen werden umgekrempelt. Als ein rachsüchtiger Sheriff zum großen Showdown ansetzt, werden die Drag Queens mit Herzlichkeit von den neuen Freunden verteidigt. Ein knallbuntes Erdbeerfest überzieht mit seinem Rot Menschen und Häuser. Bei der Verabschiedung gesteht die nette, schüchterne Hausfrau, dass ihr aufgefallen sei: Frauen hätten doch keinen Adamsapfel! Nun ja, nobody is perfect!

Besonders faszinierend der Vorspann. Man erlebt stückchenweise mit, wie aus 2 Männern zwei aufgedonnerte Entertainerinnen werden. Der Film ist unterhaltsam und sehenswert, kann sich aber nicht an dem Standard messen, den etwa »Priscilla« oder gar »Tootsie« gesetzt haben. Dennoch: ein netter Spaß.

Auf dem Büchertisch liegt diesmal das 2. Buch einer Niederländerin, deren Lebensspanne so beschrieben wird: vom Bauingenieur zur Striptänzerin. Johanna Kamermans lebt in Hamburg, der neue Titel ist »Künstliche Geschlechter - Nirwana oder Götterdämmerung?« (Edition Hathor, Hamburg, 34,- DM). In 16 Kapitel gegliedert, bemüht sich die Autorin »neue Maßstäbe in der transsexuellen Thermatik zu setzen. Es scheint, als wenn sie dabei doch eine sehr hohe Messlatte anlegt. Schon im Vorwort behauptet sie, es gehe nicht um eine Wertung von TS, sondern die Wahrheit zu schreiben. Kurz darauf möchte sie aber von der »typischen Selbstbeweinung« der TS wegführen und die »TS-Hybris« ablösen.

Immer wieder kreist ihre Darlegung um das neue Denken und die Transsexualität. Sicherlich hat sie mit ihrem Ansatz recht, vor einer zu schnellen operativen Umwandlung zu warnen. Aber man ist doch verwundert, wenn sie zum Schluss kommt, dass die derzeitige Transsexualität zu verstehen sei als eine »patriarchalische Vermeidungs-Strategie der Homosexualität«. Kein Wunder dann, wenn sie in »den Medien« die mächtigsten Patriarchen unserer Zeit sieht und das gleiche Urteil über Medizin und Wissenschaft fällt. Wer Interesse an derartigen Überlegungen hat, dem sei’s empfohlen, man kann aber auch Zurückhaltung üben…

Dies gilt nicht für eine höchst interessante Reportage der »Brigitte«. Überschrift: »Das dritte Geschlecht – in Indien gibt es eine Million Hijras – Frauen die keine sind. Die meisten werden als junge Männer gewaltsam kastriert.« Der Bericht schildert Einzelfälle, wie es der Stella ging, die sich freiwillig kastrieren ließ. Oder in welch engem Verbund diese Menschen leben, etwa in der Falkland Road in Bombay angesiedelt. Tänze und Riten bei Familienfeiern besorgen ihren Unterhalt oder aber Prostitution einfachster Art.

Der Film des WDR fing sehr stilvoll an: ein Zimmer im gedämpften Licht von Kerzen, ein großer Wandspiegel und dann der Mann, der sich ganz ruhig Damen-Kleidungsstücke anzog. Zum Schluss noch das Make-up und Perücke = fertig. Der Filmtitel: »Transvestiten« und der köstliche Untertitel: »Heimlich auf hohen Hacken«. Das konnte der Zuschauer auch erleben mit TV’s in Chemnitz, Frankfurt und Hamburg. Geraldine von der Frankfurter Selbsthilfegruppe sprach und erfreute uns im rauschenden Ballkleid, man konnte auch einen der farbenfrohen Schiffsbälle miterleben. Insgesamt also eine sehr dezente und gute Darstellung der »normalen TV’s« und ihrer Erfahrungen. Dazu gehörte auch ein Ehepaar, welches mitteilte, wie schwierig das Verhältnis zu kleineren Kindern werden kann, was die Rolle des TV-Vaters betrifft, oder ein anderes, in dem schon der weibliche Name des männlichen Partners zu Spannungen führte.

Etwas störend bei der durchgehend sonst klaren Konzeption: die Hamburger TV-Sister im Minirock, die selber zugibt, es sei wohl etwas provozierend, wenn sie mit kahlem Kopf in der U-Bahn mitternächtliche Fahrten unternimmt oder auch in der Aufmachung in der Damenabteilung einkaufen/anprobieren geht! Sonst aber: prima und besten Dank den Beteiligten, die mitmachten und TV-Erfahrungen und Gefühle weitergaben.

So long für heute.

Rita/Bremen


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.