Gelesen und gesehen – Oktober 1995

Riesige Mengen von neuen Büchern wurden in diesen Tagen auf der Buchmesse der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie wäre es denn, wenn es eines Tages das »Buch des Monats« für alle TV/TS-Leser geben würde?

Zumindest für diesen Monat gäbe es einen klaren Favoriten. Es wäre das Buch »Girl«, welches trotz des englischen Titels in deutscher Sprache beim Hoffmann Verlag herausgekommen ist (320 Seiten, 36,- DM). Da wird folgende interessante Situation als Thema vorgestellt: Mann geht ins Krankenhaus, um sich die Weisheitszähne entfernen zu lassen – und wacht in der Frauenstation auf. Man hatte ihm versehentlich die Männlichkeit entfernt. Diese Switch-Komödie, die sich im St. Swithin Hospital ergeben hat, könnte von mancher Leserin vielleicht als die Erfüllung mancher Träume verstanden werden, unserem Held ist sie jedoch zuerst ausgenommen ärgerlich. Bradley Barret, sonst ein Frauenheld und Fußballnarr, sieht sich als Opfer eines argen ärztlichen Kunstfehlers, denn unaufmerksames Personal hatte zwei Patienten verwechselt.

Köstlich ist mitzuerleben, wie die neugeschaffene Miss Barret nach und nach immer mehr Freude an ihrem neuen Zustand gewinnt. Durch das eigene weibliche Wesen gewinnt sie ihren Platz in Beruf und Familie, selbst der Vater findet sich damit ab – wenn auch reichlich mühevoll. Trotzdem verklagt man das Hospital wegen des ärztlichen Kunstfehlers und der zuständige Richter spricht ihr eine durchaus beachtliche Abfindung dafür zu, dass sie nun für alle Zeit Jackie sein muss – was zu diesem Zeitpunkt ihr allerdings durchaus Freude bereitet. Ende gut – alles gut? Der Verfasser lässt seinem Helden (Heldin) keine andere Wahl und der Leser darf sich mitfreuen. Übrigens: David Thomas, der Autor, ist ein erfolgreicher britischer Journalist und gab zuletzt die satirische Zeitschrift »Punch« heraus. Die Empfehlung an die geneigte Leserin: Das Buch lesen.

Beachtlich: Aus Neuseeland kommt die Nachricht, dass zum ersten Mal auf unserem Erdball eine TS zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Im fernen Wellington gelang das Georgina Beyer. Sie erlebte vor 13 Jahren ihre umwandelnde Operation und trat im Alter von 38 Jahren diesen Posten an. Wir wünschen: Good Luck!

Verblüffend: was man von den früher so gefürchteten Stasi-Offizieren erfahren kann. Dem Bericht eines bekannten Wochenblattes entnehmen wir: Ende der achtziger Jahre gab es da eine Party, an der sich verdiente Genossen als »Feministen, Bischof und Transvestit« verkleideten. Doch kein Neid, das davon vorhandene Farbfoto zeigt, dass die so wissenshungrige »Firma« wenig Ahnung davon hatte, wie man sich in eine nette Dame verwandelt…

Hin und wieder hatte man ihn ja schon in einigen Magazinen erblicken können, den derzeit längsten Travestie-Star. Der Liebling der amerikanischen Szene soll 2,10 m messen (ohne Stöckelschuhe) und hört auf den Namen Ru Paul. In Filmen und Fernsehen ist sie schon aufgetreten. Sie ist die erste »drag queen«, die jemals von einer großen amerikanischen Kosmetikfirma als Model angestellt wurde. Nun kann man auch Einzelheiten über den verblüffenden Aufstieg eines jungen Farbigen aus Louisiana, der es nach harten Jahren schaffte, die Bühnen von Atlanta bis nach New York zu erobern und Star in vielen Cabarets zu werden. Auftritte gab es auch in Europa: Vom Filmfest in Cannes bis zu einem Interview mit Karl Lagerfeld im deutschen Fernsehstudio soll es gegangen sein. Leider kann man es bisher nur in der englischen Autobiographie von Ru Paul nachlesen (Hyperion Verlag, New York, 228 S.). Interessant!

So long für diesmal.

Rita/Bremen


Seite angelegt am 21.11.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.