Sex-Change.

vorgestellt von Laura

Bibliographische Angaben

Die Fakten zum Film:

Inhaltsangabe

Kann man im falschen Körper zur Welt kommen? Ist es möglich, vom Mann zur Frau zu werden? Christian hat 1998 den Schritt zur operativen Geschlechtsumwandlung gewagt und lebt seitdem als Nadia Brönimann weiter. Alain Godet hat den Stationenweg von Nadias Frauwerdung acht Jahre lang mit der Kamera aufgezeichnet – ein Leben zwischen Selbstdarstellung und der Suche nach Zärtlichkeit und Liebe.

Aufgewachsen ist Christian im appenzellischen Heiden, der Vater ist Direktor, das Milieu bürgerlich. Schon früh spielt er lieber mit den Mädchen als mit Buben, zieht heimlich die Kleider seiner Mutter an. In der Pubertät macht er seine ersten homoerotischen Erfahrungen, glaubt, er sei schwul. Nach einer wilden Zeit als Callboy und Travestie-Tänzer wird Christian bewusst, dass er körperlich eine Frau sein möchte. 1998 lässt er sich operieren und lebt seitdem als Nadia Brönimann weiter.

Insgesamt 14 Operationen hat Nadia für ihre Geschlechtsumwandlung benötigt, daneben diverse ästhetische Eingriffe an Augen und Nase. Ihr Aussehen als Frau ist perfekt. Als Folge der Geschlechtsumwandlung verliert Nadia Brönimann jedoch den Kontakt zu ihrer Familie, sowie zu vielen ihrer früheren Bekannten. Lähmende Angstzustände führen zu einem Aufenthalt in der Psychiatrie, Nadia muss Antidepressiva schlucken, ihr Seelenzustand bleibt prekär. In Kalabrien sucht sie Erlösung bei einem Wunderpater, ohne Erfolg. Ihr Freund verlässt sie, weil es mit der Sexualität nicht klappt. Nadia steht vor einem Scherbenhaufen. Um aus dieser Krise herauszukommen, beschliesst sie, in Kalkutta für einige Wochen im Sterbehaus des Mutter Theresa-Ordens zu arbeiten. Zurück in der Schweiz versucht Nadia, im Alltag klarzukommen und hofft auf die Erfüllung ihres Herzenswunsches: einen Mann zu finden, der sie liebt.

»DOK«-Autor Alain Godet hat den Stationenweg von Nadias Frauwerdung acht Jahre lang mit der Kamera festgehalten. Entstanden ist ein Filmdokument über die verzweifelte Identitätssuche von Nadia Brönimann.

Kommentar von Esther Brunner (2004)

Vorwort

Einige von euch haben sicher den Dok-Film über Nadia Brönimann gesehen. Als Schicksalsgenossin und als Person, die Nadia persönlich kennen gelernt hat, möchte ich einige Dinge in ein wenig ein anderes Licht rücken.

Ich bin erstaunt, dass es möglich ist, dass jemand, der Nadia acht Jahre lang begleitet hat, einen inhaltlich so schlechten Film drehen kann. Das Thema wird völlig unangemessen behandelt und Nadia äusserst einseitig, aus einer fragwürdigen Perspektive gezeigt. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum Nadia ihre Einwilligung dazu gegeben hat, den Film so auszustrahlen. Aber es zeugt von Grösse, dass sie bereit ist, ihre eigenen dunklen Seiten einzugestehen und den Gedanken zuzulassen, dass sie möglicherweise in eine Sackgasse gerannt ist. Ob es sinnvoll, dies vor einer so breiten Öffentlichkeit zu zeigen, ist eine andere Frage. Aber gehen wir den Fragen einigermassen systematisch nach?

Was sagt der Film über Nadia aus?

Gestehen wir dem Dokumentarfilmer Alain Godet mal zu, dass er zumindest den Anspruch hatte, die Realität darzustellen. Und gestehen wir ihm zu, dass es zu diesem Zweck möglich sein muss, kritische Fragen zu stellen. Dann stellt sich für mich aber die Frage, warum wir so schrecklich wenig über den Mensch Nadia erfahren, über ihr alltägliches Leben, ihre Interessen, über das, was ihr am Herzen liegt, was ihr Freude macht und was sie in dieser Welt bewirken will. Statt dessen erfahren wir von unzähligen Operationen, von Depressionen und Schmerzen, von unerreichten Schönheitsidealen und einer unerfüllbaren Sexualität. Was soll dieser Fokus ausschliesslich auf die Schattenseiten von Nadias Leben? Ich habe Nadia nicht acht Jahre lang begleitet, aber ich kenne sie gut genug, um beurteilen zu können, dass das Bild, das im Film von Nadia gezeichnet wird, entstellt ist. Warum wird nicht auch ihr neckischer Humor, ihre Herzlichkeit, ihre Beziehung zu FreundInnen und ihre Tätigkeit beim Lighthouse gezeigt? Warum wird das Leben einer Transfrau als Leidensweg und letztlich als Scheitern verkauft?

Was sagt der Film über den Filmer aus?

Das scheint mir fast die interessantere Frage zu sein, da es ihm ja nicht gelungen ist, Wesentliches über Nadia auszusagen. Er hat sie bloss als ein Objekt seiner Betrachtung dargestellt, über das er sich einige tiefschürfend wirkende Fragen stellt. Mensch beachte das kollegiale Du, mit dem der Autor seinen audiovisuellen Brief an die Adressatin, die gleichzeitig Objekt der Betrachtung war, richtet. Das wirkt nur zynisch. Mit einer Macho-Haltung beschreibt er seine Verwunderung über die ach so merkwürdige Transformation, die zig Operationen, das Streben nach einem perfekten Körper. Er als der souveräne Dokumentarfilmer wälzt genüsslich die Lebenskrisen eines Menschen, der ein bewundertes Sexpüppchen sein wollte und daran scheitert. Das ist wie gesagt nicht mein Bild von Nadia, sondern das was – leicht überspitzt – im Film vermittelt wird.

Welche Fragen stellt der Film?

Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann wollte der Film bewusst kritische Fragen zum Thema Transsexualität aufwerfen. Ich zähle einige auf, die auch im Zischtigsclub von SF1 diskutiert werden1):

Kann mit chirurgischer Kunst ein Mann zur Frau gemacht werden? Kann ein falscher Körper der leidenden Seele angepasst werden? Oder wird bei der operativen Geschlechtsumwandlung ein funktionierender Körper zerstört und bleibt eine leidende Seele zurück?

Nun, die operative Geschlechtsanpassung funktioniert ähnlich wie ein Zaubertrick. Sie lenkt vom Wesentlichen, das vorgeht ab, und am Schluss erscheint ein Ergebnis, das verblüffend wirkt. So verblüffend, dass die meisten Leute glauben, das Geschlecht sei umgewandelt worden. Dabei geschieht eigentlich etwas ganz anderes: die Umwandlung findet in den Köpfen der Menschen und nicht an den Geschlechtsorganen der operierten Personen statt. Ein Mann ist nämlich nichts anderes, als was für einen Mann gehalten wird. Eine Frau ist nichts anderes als eine Person, die für eine Frau gehalten wird. Und diese Grenze kann erstaunlich leicht überschritten werden, Ihr könnt es ja selbst mal ausprobieren (z. B. an der 2. Transgender-Party). Nur, das will den Leuten nicht in den Kopf. Die meisten Leute meinen, wer einmal ein Mann sei, sei immer ein Mann. Das Geschlecht, das die meisten Menschen inklusive mir als eine identitätsstiftende Zugehörigkeit ansehen, kann doch nicht an so etwas Belanglosem und Oberflächlichen liegen wie Kleidung oder ob jemand Hormonpillen schluckt. Die Operation bietet einen willkommenen äusseren Anlass, der einschneidend genug ist, um das Faktum anzuerkennen, dass die operierte Person nun dem anderen Geschlecht angehören will.

Meine Ausführungen laufen auf die Behauptung hinaus, dass die geschlechtsangleichende Operation im Wesentlichen eine Placebo-Operation ist. Und zwar ein Placebo hauptsächlich für die Gesellschaft und die staatliche Autorität, die meint, die Geschlechtszugehörigkeit in ihren Registern festschreiben zu müssen. Ein Placebo aber auch für uns Transsexuelle, denn die meisten von uns wollen ja nicht ein Leben lang mit Genitalien rumlaufen müssen, die von allen anderen Menschen als unpassend für das eigene Geschlecht angesehen werden. Mensch stelle sich die gesellschaftlichen Stigmatisierungen, die Schwierigkeiten bei der Partnerwahl, die Auswirkungen auf das eigene Körpergefühl und das Erleben der eigenen Sexualität vor. Das sind wirklich höchst unzumutbare Bedingungen. Es besteht darum auch ein berechtigter Anspruch, dass die Gesellschaft für Massnahmen zur Linderung des Leides transsexueller Menschen bezahlt, schliesslich werden sie durch die allgemeine Vorstellung behindert, dass die Genitalien etwas über das Geschlecht einer Person aussagen.

Im Film angeklungen ist auch die Frage, ob mit der geschlechtsangleichenden Operation nicht in das Handwerk Gottes oder die natürliche Bestimmung gepfuscht wird. – Nun, über die Existenz Gottes kann man sich streiten und ein aufgeklärter Mensch sollte nicht davon ausgehen, dass die Natur irgendwelche Pläne ausheckt, was mit einem Embryo geschehen soll. Sinnvollerweise müsste mensch viel eher fragen, welche medizinischen Eingriffe wir zulassen und wie wir die Mittel einsetzen wollen. Das leitet mich zur nächsten Frage:

Was lernt die Medizin aus den Erfahrungen mit Nadia? Wie riskant ist der chirurgische Eingriff, wie gross die Erfolgsquote? Ist eine befriedigende Sexualität im neuen Körper möglich?

Da müsste mensch z. B. mich fragen. Nun, ich mag mich nicht daran erinnern, dass ich im Verlaufe des letzten Jahres einen neuen Körper erhalten habe. Er scheint mir weitestgehend der gleiche zu sein wie vorher – Irrtum vorbehalten. Riskant? – Ja klar, das Leben ist nun mal halt lebensgefährlich. Erfolgsquote? – Hängt schwer davon ab, was mensch als Erfolg zählen will. Ich plädiere stark dafür, zur Beantwortung die Betroffenen zu befragen. Befriedigende Sexualität? – Ich war mir bewusst, als ich die Operation anstrebte, dass ich riskiere, die sexuelle Erlebnisfähigkeit zu verlieren. Das ist zum Glück nicht passiert. Aber es gibt natürlich schon grosse Unterschiede zwischen männlichem Sexualtrieb und weiblicher Lust. Und es spielt durchaus eine Rolle, ob der Orgasmus nur in einem peripheren Körperteil stattfindet oder ausgehend von der Klitoris den Körper durchströmt. Ob ich jetzt allerdings vergleichbar Lust empfinde, wie eine biologische Frau, kann ich nicht beurteilen. Hauptsache, es gefällt mir besser und ich bin endlich nicht mehr befremdet von der meinem Körper entspringenden Sexualität. Dass auch bei mir Penetration gegenwärtig noch nicht möglich ist oder mit grossen Schmerzen verbunden wäre, ist zwar ein Wermutstropfen, aber auch nicht der Weltuntergang. Das war nicht meine Hauptmotivation für die Operation und abgesehen davon habe ich nie wirklich begriffen, warum Penetration so herausragend wichtig sein sollte.

Warum können Transsexuelle ihre gespaltene Identität nicht akzeptieren? Warum wollen viele Hand an sich legen? Warum suchen sie ihre Erfüllung partout in der Sexualität?

Die letzte Frage ist eine absolute Frechheit! Ich meine, im vorhergehenden Abschnitt dieses Clichee zünftig widerlegt zu haben. Und ausserdem, warum sollen Transsexuelle ihre Erfüllung nicht auch in der Sexualität suchen dürfen? Andere Menschen tun dies ja auch und würden ausgesprochen scharf reagieren, wenn man sie systematisch dabei zu behindern versuchte.

Aus der Begriffskonstellation «gespaltene Identität» im Zusammenhang mit Transsexualismus werde ich nicht ganz schlau. Soll damit gemeint sein, dass mensch Transsexuellen zumuten will, dass sie sich mit den ihrem Körper anhaftenden Geschlechtsmerkmale zufrieden geben und gesellschaftliche Stigmatisierungen hinnehmen sollen? Oder ist sogar die noch weitergehende Forderung damit verbunden, dass sich Transsexuelle gefälligst ein Leben lang verkleiden und verstellen sollen? – An solch absurden Fragestellungen zeigt sich bloss eines: dass die Begriffe, mit denen wir über Geschlechtlichkeit nachdenken, nicht dafür geeignet sind, das Phänomen des Transsexualismus zu erfassen. Wenn wir schon von einem «Spalt» oder einer Diskrepanz reden wollen, dann ist sie anderswo zu verorten, nämlich zwischen Geschlechtsidentität auf der einen Seite und der gesellschaftlichen Rollenzuschreibung andererseits. Wenn nun diese Diskrepanz, die offensichtlich sinnloses Leid verursacht aufgehoben oder zumindest erträglicher gemacht werden sollte, dann stellt sich die Frage, in welche Richtung die Anpassung gehen soll. Allerdings ist das meiner Meinung nach bereits eine Frage zu viel. Die Vorstellung, gegen den Willen der betroffenen Person die Identität anzupassen, ist nicht kompatibel mit dem Konzept der Menschenwürde. Also bleibt eigentlich nur die andere Anpassungsrichtung: Die Leute müssen dazu gebracht werden, die Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Person anders als bisher zu beurteilen. die Fragestellung lautet also korrekt:

«Warum kann unsere Gesellschaft die Existenz von Frauen mit Penis und Männer mit Vagina nicht akzeptieren?» – Eine Antwort darauf habe ich natürlich auch nicht. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass dieses biologistische Dogma irgendwann fallt. Nur bin ich angesichts davon, wie harzig die Gleichstellung der Frauen vorankommt, nicht sonderlich optimistisch in Bezug auf den Zeithorizont. Und in der Zwischenzeit will ich leben, unter möglichst annehmbaren Bedingungen.

Welche Verantwortung haben Film- und Buchautoren wenn sie z. B. Nadia über lange Zeit begleiten?

Das ist die einzig schlaue Frage darunter und da bin ich wirklich gespannt, was die Leute sagen werden.

Mein Fazit: Der Film zu Nadia Brönimann wirft zwar Fragen auf, aber die falschen. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Transsexualismus müsste – anstatt die Wünsche von Transsexuellen zu hinterfragen – das Denkkorsett aufschnüren, mit dem wir über Geschlechtlichkeit denken. Von einem Dokumentarfilmer, der Philosophie studiert und die betroffene Person acht Jahre begleitet hat, meine ich dies erwarten zu dürfen.


Der Kommentar von Esther Brunner wurde hier mit Esthers freundlicher Genehmigung veröffentlicht. Den ursprünglichen Artikel findest du unter http://wiki.kaffeehaus.ch/nadia.

Seite angelegt am 17.03.2005, zuletzt geändert am 23.11.2006.