Vier Jahre / Zwischenbilanz und Abschied

Dieser Tage bricht das fünfte Jahr im »neuen« Leben an. Das Jubiläum habe ich eher zufällig wahrgenommen, aber es eignet sich für eine kleine Bilanz.

Ich bin jetzt 32 Jahre alt. Vor etwa 25 Jahren spürte ich, dass etwas nicht stimmt mit mir. Vor etwa 15 Jahren dachte ich, dass mein Interesse an der Kleidung des anderen Geschlechts eine seltsame Neigung ist. Vor 10 Jahren wusste ich in etwa, dass ich transsexuell bin, war aber voller Zweifel und wusste nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte. Vor ca. 5 Jahren dann wurde mir alles klar, seitdem war ich mir sicher, einfach eine Frau zu sein. Und dieser Erkenntnis folgte dann vor ziemlich genau 4 Jahren der soziale Wechsel, seitdem standen empfundene Identität und gelebte Rolle im Einklang. Dieser Schritt war die wohl weitreichendste und zugleich allerbeste Entscheidung in meinem bisherigen Leben. Vor 2 Jahren habe ich mich schließlich auf den Operationstisch gelegt und das am meisten störendste Relikt aus dem alten Leben beseitigt. Zudem habe ich mich in den letzten Jahren all den anderen »üblichen« Prozeduren rechtlicher und medizinischer Natur unterworfen.

Alles in allem bin ich äußerst froh, diesen Weg gegangen zu sein und kann mir absolut keine Alternative vorstellen. Ich weiß nicht, wie lange ich noch »funktioniert« hätte. Heute bin ich glücklich, wie ich es früher nie war. Und neben dem inneren Frieden bin ich auch glücklich über mein »äußeres« Leben: Ich lebe zusammen mit einem Partner, den ich liebe. Ich habe eine Arbeit, die mir Spaß macht, bei der ich jeden Tag mit tollen Menschen zusammen bin, und die gut bezahlt wird. Ich kann zahllosen Interessen nachgehen und habe einen kleinen, aber schönen Freundeskreis. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner ganzen Familie und zu der meines Partners. Ich lebe unbehelligt und frei von existentiellen Nöten. Freilich gibt es auch Abstriche: Leibliche Kinder werden mir niemals vergönnt sein, mein Körper hat etliche dauerhafte Spuren aus seiner Vergangenheit mitgebracht, »stealth« zu leben ist nicht wirklich drin, und es gibt noch ein paar nicht so großartige Sachen, über die ich nicht öffentlich sprechen werde. Aber in Summe ist mein Leben erfüllt und glücklich, mehr als je zuvor.

Und so stellt sich ganz schleichend etwas ein, das ganz viele Menschen nach der eigentlichen Transition erleben: Das Thema TS rückt vom Lebensmittelpunkt immer weiter an den Rand, bis es keine wichtige Rolle mehr spielt. Mir ist an jedem einzelnen Tag bewusst, dass ich keine Frau wie alle anderen bin, aber mein Leben kreist um ganz andere Dinge. Wenn nach Arbeit, Haushalt, Partnerschaft noch Zeit übrig bleibt, die ich aktiv gestalten möchte, ziehe ich mir viel lieber die Laufschuhe an, setze mich aufs Rennrad oder schwimme ein paar Bahnen. Oder ich fotografiere irgendwo oder wir unternehmen etwas. Und so weiter. Ja, ich lese gern noch ab und an ein Buch mit Transgender-Thema, schaue mir im Fernsehen etwas darüber an oder unterhalte mich ab und an dazu. Meine kleine Bibliothek mit mehreren hundert TG-Büchern und -Filmen wird gut gefüllt bleiben. Aber ich habe so gar keine Muße mehr, mich darüber hinaus mit dem Thema zu beschäftigen, Stammtische zu besuchen, den sich vielfach wiederholenden Forendiskussionen zu folgen uswusf. Meine Zeit ist einfach schon längst vorher alle.

Darum möchte ich mich hier weitgehend verabschieden und mich für all die lieben Menschen, interessanten Gespräche und klugen Gedanken bedanken, die mir in den letzten 15 Jahren begegnet sind. Vielleicht habe ich mich irgendwann ausgetobt und finde wieder mehr Zeit für Reflexionen über mein besonderes Schicksal, für die nächste Zeit ist das aber so gut wie ausgeschlossen.

Viele liebe Grüße an alle da draußen, die ich kenne und die mich kennen.

L./C./F./M.


Seite angelegt am 04.06.2009, zuletzt geändert am 22.08.2010.