Wie sieht’s aus? – Eine Stimme aus der katholischen Kirche zum Thema Transsexualität

Brief von Dr. Lorenz Wolf, erschienen in Vivatissimus, Heft 03/1998.

Für die vorliegende Ausgabe des Vivatissmus wollten wir eine Stellungnahme der katholischen Kirche zum Thema Transsexualität veröffentlichen. Wir haben daher das Erzbischöfliche Ordinariat München angeschrieben und um die Beantwortung einiger Fragen gebeten. Die Antworten sind nachfolgend abgedruckt.

Sehr geehrte Frau Willers,

in Ihrem Brief vom 28.05.1998 haben Sie um die Beantwortung einiger Fragen bezüglich der Stellung der katholischen Kirche zum Thema Transsexualität gebeten. Dieses Schreiben wurde mir als Referent für Kirchenrecht im Erzbischöflichen Ordinariat zur Bearbeitung übergeben. Eine umfassende Auskunft kann ich in der gebotenen Kürze nicht geben, da daran m.E. die an den Universitäten lehrenden Professoren für Moraltheologie, Ethik, Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie beteiligt werden müßten. Trotzdem werde ich versuchen, als Kirchenrechtler Ihre Fragen kurz zu beantworten.

1. Wie geht die katholische Kirche mit dem Thema Transsexualität um?

Das Thema Transsexualität‹ wird im kirchlichen Bereich und in der Theologie selten als eigenständiges Thema behandelt, zumindest läßt sich darüber kaum etwas in der theologischen Literatur ausmachen. Es kommt in verschiedenen anderen Themenbereichen als eine Realität neben anderen vor, z.B. bei der Diskussion über die Grenzen der Verantwortbarkeit medizinischer Eingriffe in der Frage, ob eine operative Geschlechtsänderung verantwortbar ist, oder bei der rechtlichen Beurteilung von Ehen Transsexueller, die im Verlauf einer früher geschlossenen Ehe die Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen. Grundsätzlich ist festzustellen, daß die Lehre der Kirche über die Sexualität, welche die Sexualität und Geschlechtlichkeit als positive Kraft im Leben eines jeden Menschen sieht, ganz selbst verständlich auch für jeden Transsexuellen gilt. Da die Ausbildung der Geschlechtsidentität zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Menschen gehört, diese aber über verschiedene Stadien verläuft und es in jedem dieser Stadien zu Störungen kommen kann, ist den Betroffenen hierbei jede erdenkliche medizinische, psychologische und pastorale Hilfe zu leisten.

2. Ist eine Taufe auf den neuen Namen nach der Vornamens- und Personenstandsänderung möglich?

Die Taufe ist ein Sakrament, das nur einmal gespendet werden kann, da dadurch der Mensch in die Gemeinschaft der Kirche als Christ aufgenommen wird. Die Namensgebung ist nicht Wirkung der Taufe. Nach einer staatlichen Personenstands- und Vornamensänderung kann der neue Name in das Taufbuch eingetragen werden.

3. Ist für einen transsexuellen Menschen eine kirchliche Heirat nach erfolgter Personenstandsänderung möglich?

Die freie Wahl des Lebensstandes gilt uneingeschränkt für Transsexuelle, da sie zu den Grundrechten eines jeden Menschen gehört. Nach der Definition der katholischen Kirche ist die Ehe ein lebenslanger Bund zwischen Mann und Frau, der seiner Natur nach auf Nachkommenschaft und gegenseitiges Gattenwohl hingeordnet ist Der Bund wird geschlossen durch freie Willensübereinkunft von dazu befähigten Personen. Wenn ein Transsexueller nach der Geschlechtsumwandlung heiraten will, so ist auf alle Fälle notwendig, daß sein Partner von seiner Transsexualität weiß. Eine höhere Anforderung hinsichtlich der Eheschließung als an andere Personen ist nicht zu fordern. Der eventuelle Mangel der Zeugungsfähigkeit ist kein Kriterium für die Gültigkeit einer Ehe.

4. Ist es möglich, daß ein Frau-zu-Mann-Transsexueller nach der Personenstandsänderung Priester wird?

Die Frage läßt sich nicht generell beantworten, da nicht jeder beliebige Mann Priester werden kann. Nach der personalen Integration ihrer Geschlechtlichkeit sind an Transsexuellen die gleichen Anforderungen zu stellen wie an alle anderen Männer: Hinreichende leibliche und seelische Gesundheit, sittliche und affektive Reife, Belastbarkeit, integrierte Geschlechtlichkeit mit geordneter sexueller Triebhaftigkeit und gefestigter Keuschheit. Die Vorschrift, daß die Priesterweihe nur ein Mann empfangen kann, ist streng einzuhalten. Ob ein Mann zur Priesterweihe zugelassen werden kann, ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Die Entscheidung fällt in jedem Fall nach Vorlage eines Gesundheitszeugnisses und einer genau geordneten Priesterausbildung in einem Zeitraum von mindestens sechs Jahren.

Ich hoffe Ihnen mit diesen Antworten zu genügen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Lorenz Wolf


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Seite angelegt am 20.08.2004, zuletzt geändert am 01.09.2005.